Immer mehr gleicht ein Auto einem Computer. Seiner Informations-Architektur liegen jedoch noch immer Prinzipien zugrunde, die in den letzten hundert Jahren gewachsen sind. Schon jetzt gehen immer mehr Pannen auf das Konto der Elektronik. In naher Zukunft sollen Autos zusätzlich auch noch über das Internet kommunizieren und ferngesteuert oder autonom fahren können.
Für den Visio.M haben Wissenschaftler der TU München nun eine komplett neue IT-Architektur aufgebaut. Ähnlich wie bei einem Smartphone ist sie in zwei Schichten gegliedert: In der einen Schicht laufen alle fahr- und sicherheitsrelevanten Funktionen, in der anderen befinden sich alle Komfortfunktionen sowie die Kommunikation des Systems mit dem Fahrer und dem Internet.
Gegen Angriffe von außen ist das System vor allem dadurch abgesichert, dass die beiden Systeme auf unterschiedlichen Plattformen laufen. Alle betriebswichtigen Funktionen regelt ein zentrales Steuergerät mit einem Controller-Area-Network (CAN) Bus. Für den Fahrer und die Internetkommunikation ist ein webfähiger Computer zuständig. Sein grundlegendes Architekturprinzip ist der von den Forschern entwickelte „Automotive Service Bus“.
Automotive Service Bus als Nachrichtenkanal
Der Automotive Service Bus funktioniert wie ein Nachrichtenkanal. Alle Komponenten können Nachrichten über diesen Kanal senden und empfangen. Wesentlich für die Sicherheit ist, dass die Komponenten Fahrzeugdaten nur lesen können. Nur in definierten Ausnahmefällen für zuvor festgelegte Funktionen erteilt die zentrale Steuereinheit auch „Schreibrechte“. So ist beispielsweise eine Fernsteuerung des Fahrzeugs realisierbar, wie sie auf der CeBIT am Stand der Bundesregierung (Halle 12, Stand C79) gezeigt wird.
Grundsätzlich gibt es hierbei drei Arten von „Nachrichten“: Ereignisse liefern Informationen, wie zum Beispiel die aktuelle Geschwindigkeit oder die aktuelle Position. Kommandos ermöglichen Interaktionen zwischen einzelnen Komponenten, beispielsweise eine neue Zieltemperatur für die Klimaanlage. Präferenzen sind Nachrichten, die fahrerspezifische Informationen beinhalten, wie Musikvorlieben oder die Heimatadresse.
„Alle Komponenten müssen sich an die Grammatik des Automotive Service Bus halten, mehr ist nicht erforderlich,“ sagt Michael Schermann, Leiter des Automotive Service Labors am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der TU München. „Wie Apps auf einem Smartphone können Komponenten aktualisiert, hinzugefügt oder gelöscht werden, ohne dass ein Werkstattbesuch nötig wäre.“
Einheitliche Benutzeroberfläche
Die Schnittstelle zum Fahrer bildet eine grafische Bedienoberfläche. Die für das Fahren wesentlichen Informationen zeigt ein Bildschirm im Armaturenbrett. „Die Anzeige auf diesem Bildschirm können wir frei gestalten“ sagt Michael Schermann. „Im Visio.M haben wir uns für eine eher klassische Anzeige mit Rundinstrumenten entschieden.“
Eingaben des Fahrers nimmt ein mittig eingebauter Touchscreen entgegen. Um die Ablenkung während des Fahrens so gering wie möglich zu halten, reagiert das Gerät auf einfache Wisch-Gesten. Anders als beim Smartphone müssen also keine Elemente mit dem Finger „getroffen“ werden.
Werden nun Komponenten hinzugefügt oder geändert, so bleibt die Benutzeroberfläche im Wesentlichen gleich. Es stehen lediglich zusätzliche oder andere Funktionen zur Verfügung. Anders herum können die Benutzer die Oberfläche auch an ihre persönlichen Bedürfnisse anpassen, ohne Änderungen an einzelnen Komponenten vornehmen zu müssen.
Während bisher ein Auto über seine gesamte Nutzungsdauer kaum verändert werden konnte, erlaubt die Trennung der beiden Schichten Updates und Anpassungen zu beliebigen Zeitpunkten. „Der Automotive Service Bus ist auch die ideale Basis für ‚Premium Services’. Für einen kleinen Aufpreis kann es im Mietwagen beispielsweise den Zugriff auf die persönliche Musiksammlung in der Cloud geben,“ sagt Michael Schermann. „Bevorzuge ich die Navigation eines bestimmten Anbieters, kann das System mir dessen Service anbieten – ohne Änderung am Fahrzeug.“
Automotive Service Bus als Open Source Software
Im Oktober erhielt der Visio.M mit diesem System seine Straßenzulassung. Nach dem Ende des Forschungsprojekts Visio.M stellen die Entwickler der TU München nun den Automotive Service Bus unter eine Open Source Lizenz. „Damit bekommen Entwickler weltweit die Möglichkeit, diese Plattform für eigene Forschung zu nutzen“, sagt Michael Schermann.
Basis des Automotive Service Bus ist die OSGi-Softwareplattform (Open Service Gateway Initiative). Es ist Java-basiert und läuft somit unter allen gängigen Betriebssystemen wie Windows, Linux oder Mac OS. Als Hardwareplattform dient ein Pandaboard, ein Einplatinen-Computer, der auf einem Chipsatz des Partners Texas Instruments basiert und mit einem Linux Betriebssystem betrieben wird. Als Touchscreen dient ein Apple iPad. Als zentrales Steuersystem dient ein Controller des Projektpartners IAV.
Am Forschungsprojekt „Visio.M“ (www.visiom-automobile.de) beteiligten sich, neben den Automobilkonzernen BMW AG (Konsortialführer) und Daimler AG, die Technische Universität München als wissenschaftlicher Partner, sowie die Autoliv B. V. & Co. KG, die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die Continental Automotive GmbH, die Finepower GmbH, Hyve AG, die IAV GmbH, InnoZ GmbH, Intermap Technologies GmbH, LIONSmart GmbH, Amtek Tekfor Holding GmbH, Siemens AG, Texas Instruments Deutschland GmbH und TÜV SÜD AG. Das Projekt wurde im Rahmen des Förderprogramms IKT 2020 und des Förderschwerpunkts „Schlüsseltechnologien für die Elektromobilität – STROM“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) über 2,5 Jahre gefördert und hat ein Gesamtvolumen von 10,8 Mio. Euro.
Kontakt:
Michael Schermann
Technische Universität München
Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik (Prof. Dr. Helmut Krcmar)
Boltzmannstr. 3, 85748 Garching, Germany
Tel.: +49 89 289 19507 – E-Mail: michael.schermann@tum.de
Internet: www.winfobase.de – http://www.automotive-services.org