Ein Team der Technischen Universität München (TUM) hat eine Software entwickelt, die es möglich macht, Rennwagen ohne Fahrer im Motorsport antreten zu lassen. Damit konnte das TUM Autonomous Motorsport Team bei den Autonomous Challenges in Indianapolis und jüngst auf der CES in Las Vegas den 1. und 2. Platz belegen. Hat die Technologie das Potenzial, den Rennsport zu revolutionieren? Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik, gibt Antworten.
Herr Prof. Lienkamp, wie kamen Sie auf die Idee, mit Ihrem Team an den beiden Autonomous Challenges in den USA teilzunehmen?
Die Geschichte nimmt bereits 2005 ihren Anfang. Damals hat der Informatiker Sebastian Thrun von der Stanford University die DARPA Grand Challenge gewonnen, das bis dato wichtigste und einzige Rennen für autonome Fahrzeuge durch die Wüste Nevadas. Ich war damals bei Volkswagen tätig und wir haben dort den Wagen für ihn aufgebaut. 2007 folgte dann die Urban Challenge in Kalifornien, ein Rennen für autonome Wagen auf befestigter Straße unter realen Verkehrsbedingungen, bei dem erneut drei Volkswagen-Fahrzeuge für verschiedene Universitäten im Finale standen. Sebastian Thrun hatte dann die Idee, Geschwindigkeitsrennen ähnlich der Formel 1 auf einer echten Rennstrecke zu fahren. Damit war das Konzept der Autonomous Challenge geboren. Klar, dass ich da auch mit einem Team der TUM teilnehmen wollte.
In autonomen Fahrzeugen, die derzeit für die Straße getestet werden, ist schon enorm viel KI verbaut. Was unterscheidet die Software, die sie für die Rennwagen nutzen, von den bereits vorhandenen Systemen?
Auf der Rennstrecke gibt es weder Verkehrsregeln noch Orientierungspunkte wie Fahrspuren, Ampeln oder Schilder. Letztlich fahren wir gegen „unberechenbare“ Objekte, in unserem Fall sind das die anderen Rennwagen, die wir erkennen und von denen wir vorhersagen müssen, wohin sie sich bewegen. Das Ganze mit Geschwindigkeiten von über 250 km/h. Wir können das leisten, weil unsere Software sich nicht darauf konzentriert, Verkehrsregeln strikt zu befolgen, wie das bei anderen Herstellern der Fall ist. Stattdessen berechnet sie die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten der anderen Objekte und folgert daraus die optimale Lösung für die Eigenbewegung.
Wie macht das Ihre Software genau?
Unsere Technologie bedient sich der üblichen Sensorik mit Laser, Kamera und Radar. Die Software kennt die Rennstrecke und detektiert die anderen Fahrzeuge. So kann sie die wahrscheinlichste Trajektorie, also an welchem Punkt zu welcher Zeit sich das andere Fahrzeug auf der Strecke bewegen wird, voraussagen und die eigene Bewegung hindurchplanen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch die Rechengeschwindigkeit der Software. Diese ist entscheidend, um aggressive Manöver sicher zu fahren und auf kritische Situationen spontan zu reagieren.
Enorm geholfen hat zudem, dass wir die Software Open Source für alle verfügbar gemacht haben und so auch andere Teams daran weiterarbeiten können. Das bringt Tempo in den Entwicklungsprozess, sodass weltweit bald mehr Menschen an unserem Code arbeiten können als alle Automobilhersteller zusammen an Entwicklungskapazität haben. Letztlich sind eine Software und auch der Wagen aber immer nur so gut wie das Team dahinter. Ich habe eine außergewöhnlich gute Mannschaft, die mit riesigem Einsatz weit über ihr normales Tagesgeschäft hinaus zu diesem Erfolg beigetragen hat. 15 Doktoranden haben über vier Jahre hinweg dieses ganze Projekt getragen. Vier Teamleiter haben zudem in den verschiedenen Phasen das Team zum Erfolg geführt.
Die Formel 1 ist das bekannteste Autorennen der Welt. Halten Sie es für möglich, dass in Zukunft nur noch fahrerlos gefahren wird?
Das ist sowohl eine technische als auch eine emotionale Diskussion, die vor allem die Zuschauer betrifft. Diese binden sich ja immer sehr gern an eine bestimmte Fahrerpersönlichkeit und fiebern mit. Wenn ich mir die stetig wachsende Begeisterung für E-Sports anschaue, glaube ich, dass es irgendwann beides geben wird. Technisch gesehen muss man sich natürlich immer fragen, wann es realistisch ist, den Fahrer oder die Fahrerin wirklich ersetzen zu können. Nach unseren Erfahrungen in Indianapolis, glauben wir: Bis 2025 könnte das möglich sein. Wir können uns sogar vorstellen, dass wir bei einem echten Formel 1 Rennen eines unserer autonomen Fahrzeuge mitschicken, das dann gegen menschliche Profis konkurriert.
Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass ein autonom fahrender Wagen einen Menschen schlagen könnte?
Nach aktuellem Stand ist unsere Software bereits auf dem Niveau eines Amateur-Fahrers. Wenn wir von der Profi-Liga sprechen, zeigen Erfahrungswerte, dass wir etwa eine halbe Sekunde hinterher wären. Es wird also wohl noch ein paar Jahre Zeit brauchen, bis unsere autonomen Fahrzeuge Rennsport-Profis schlagen können. Sie müssen sich das vorstellen wie ein Schachspiel gegen den Computer. Am Anfang hat die KI darin erst einmal nur Hobby-Spieler schlagen können. Bis das beim Weltmeister möglich war, hat es ein ganzes Stück gedauert. Möglich ist es aber definitiv.
Nach so großen Erfolgen in Indianapolis und Las Vegas – wie geht es jetzt weiter?
Der Wettbewerb wird ziemlich sicher zur CES im nächsten Jahr fortgesetzt. Da werden wir dann wieder antreten. Wir wollen unsere Erkenntnisse aus den Rennen aber auch auf die Straße bringen – zum Beispiel mit einem autonomen Shuttle während des Oktoberfestes. Und wir haben eine eigene Software-Firma, „driveblocks“, gegründet, die das Ganze industrialisiert und zur Serienreife bringt. Unser Knowhow wird somit bald zu kaufen sein.
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