apl. Prof. Dr.-Ing. Helmut Schwanghart
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Trauerrede für Professor Schwanghart (*20.03.1937-02.07.2020)
Herr Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. habil Helmut Schwanghart (*20.03.1937-02.07.2020) war 20 Jahre lang als Akademischer Direktor der zweite Mann an meinem ehemaligen Institut, dem Institut für Landmaschinen der Technischen Universität München.
Ich spreche hier auch als Vertreter der Fakultät Maschinenwesen der TUM und darf Ihnen, liebe Frau Schwanghart, das aufrichtige Beileid von Dekan Adams überbringen.
Herr Prof. Schwanghart war in vielem meine rechte Hand, besonders in Verwaltungs- und Personalfragen. So besprachen wir z. B. grundsätzlich alle Einstellungen und Investitionen gemeinsam so lange, bis wir beide sicher waren, es richtig zu machen.
Das funktionierte gut. Alle ehemaligen Assistenten wurden später erfolgreiche Führungspersönlichkeiten und das Stammpersonal bewältigte so komplexe Projekte wie den Bau des Münchner Forschungstraktors – heute eine der Attraktionen im Deutschen Landwirtschaftsmuseum der Uni Hohenheim – oder die komplexe Planung und Ausgestaltung des neuen Instituts auf dem Campus Garching.
Helmut Schwanghart studierte Maschinenbau an der TH München. Wegen sehr guter Leistungen wurde er 1962 Assistent bei Prof. von Sybel, ab 1965 bei Prof. Söhne mit Promotion und Ernennung zum Oberingenieur 1969 – dann im Jahre 1978 zum Akademischen Direktor. Söhne förderte ihn vor allem durch eine vertiefte Prägung in Richtung anspruchsvoller technischer Mechanik. Das war gut, um auf zwei Gebieten wissenschaftlich erfolgreich zu werden, der Mechanik des Systems Reifen-Boden und der Umsturzmechanik von Traktoren. Zu diesen Schwerpunkten einige Anmerkungen.
Ende der 1960er Jahre starben in Deutschland jährlich bis zu 200 Menschen durch Traktorumstürze – die Berufsgenossenschaften läuteten die Alarmglocken. Söhne und Schwanghart nahmen sich des Problems an. Traktorumsturz bedeutet im Gelände eine räumliche Bewegung mit elastisch-plastischen Bodenkontakten und elastisch-plastischem Verhalten von Traktorbauteilen – da war bezüglich Mechanik alles drin, was schwierig zu modellieren ist. Theorien wurden entwickelt, viele Traktoren unter wissenschaftlicher Kontrolle am definierten Steilhang umgestürzt. Die Industrie unterstütze dieses notgedrungen. Es gab auch mal Tränen. Die sollen Herrn Dr. Anton Schlüter gekommen sein, als er als Zuschauer mitansehen musste, wie aus seinem schmucken roten Schlepper am Hang in Sekunden ein Schrotthaufen wurde.
Diese grundlegenden Arbeiten – unterstützt durch weitere aus den USA, Schweden, Frankreich und England – sollten jedoch ein großer Segen für die Landwirtschaft werden: Ab 1970 wurden getestete Umsturzschutzvorrichtungen in Deutschland bei Neutraktoren Pflicht. Der Erfolg war so beeindruckend, dass ab 1977 auch alle alten Traktoren nachgerüstet werden sollten. Die konnte man aber nicht alle testen. So wurden Schutzbügel für etwa eine Million alter Traktoren in München berechnet und erst nach Bestehen offiziell frei gegeben. Das waren sehr viele Einzelgutachten.
Dafür hatten Söhne und Schwanghart auf der Basis der Versuche Modelle und praxisnahe Testlasten erarbeitet, die bis heute fortgeschrieben und verfeinert wurden, wobei aber wesentliche Ur-Elemente in die heutigen Vorschriften der EU einflossen.
Jeder in den Handel gebrachte Traktor mit oder ohne Kabine muss danach einen harten Crashversuch überstehen, der inzwischen sogar in einer Weltnorm verankert ist.
Diese Sicherheitstechnik rettete inzwischen sehr viele Menschenleben, von mir geschätzt bis heute allein in Deutschland etwa 8000. Die Zahl der Unfalltoten bei Traktorumstürzen ging nämlich ab 1970 um über 95% zurück, ein spektakuläres Ergebnis, das in der Sicherheitstechnik ziemlich einmalig ist. Die von Schwanghart beigesteuerten Grundlagen findet man in seiner Habilitationsschrift von 1980.
1982 folgte ich dem Ruf an die TU München und wir lernten uns näher kennen.
1986 erhielt Schwanghart einen Ruf auf eine C3-Professur in Weihenstephan, blieb aber bei mir. Er wurde Privatdozent an der TUM und 1994 auf meinen Antrag zum außerplanmäßigen Professor befördert*. 1983-2007 war er nebenbei auch noch Lehrbeauftragter für technisches Zeichnen an der FH München.
Ab 1980 wurde die Terramechanik sein zweiter Schwerpunkt. Ende 1986 übertrug ich ihm dafür die gesamte Verantwortung in Forschung und Lehre und er übernahm 1987 von Söhne die Vorlesung „Terramechanik der Geländefahrzeuge“. Von 1988 bis 2006 verfasste er jedes Jahr das Reifen-Kapitel für das Jahrbuch Agrartechnik. Eine ehrenvolle Gastdozentur an der Jilin University (VR China) im Jahre 1985 und großzügige Einladungen insbesondere nach Japan zeigten sein rasch erworbenes internationales Ansehen auf diesem Gebiet. 1982-2002 war er Europa-Sekretär der International Society for Terrain Vehicle Systems (ISTVS), von 1990 bis 2003 Mitherausgeber des renommierten „Journal of Terramechanics“ und von 1994 bis 1999 Vizepräsident der ISTVS. Höhepunkt wurde der von ihm 1999 erfolgreich gestaltete 13. ISTVS Weltkongress in Garching und seine Wahl zum 12. Präsidenten dieser bedeutenden internationalen Gesellschaft für die Periode 1999-2002.
Zum 31. März 2002 trat Prof. Schwanghart in den Ruhestand, blieb jedoch unter meiner Leitung bis 2006 Geschäftsführer des VDI-MEG Arbeitskreises Agrartechnik München (seit 1987) und hielt die Terramechanik-Vorlesung noch bis 2011.
Fast 100 wissenschaftliche Veröffentlichungen und 50 Vorträge dokumentieren das Lebenswerk von Helmut Schwanghart. Für seine vielfältigen Verdienste – insbesondere bezüglich Traktor-Umsturzschutz – erhielt er 2007 die „Ehrenplakette des VDI“, traditionell verbunden mit einem „VDI-Life Member“ Status.
Der Mensch Helmut Schwanghart pflegte seine Beziehungen sowohl innerhalb des Instituts als auch weltweit mit Hingabe. Wer ihn aus dem Ausland besuchte, hatte einen großzügigen Fremdenführer gratis – auch mal für ein ganzes Wochenende.
Bis ins hohe Alter gehörte er dem Akademischen Orchesterverband München an – beherrschte mehrere Instrumente. Seine bayerische Prägung mit auch mal etwas unkonventionellen Einlagen gehörte untrennbar zu seiner Persönlichkeit. Ich bin eher preußisch geprägt und dazu ein Jahr jünger– aber wir haben uns trotzdem bestens verstanden. Sein gutmütiger, freundlicher Einsatz für seine Aufgaben und für die Menschen um ihn herum waren dafür eine gute Basis, machten ihn allgemein beliebt.
Wir und viele andere werden Helmut Schwanghart vermissen.
München, den 08.07.2020
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Karl Th. Renius